Diskussion um Börsenumsatzsteuer: Führte das Finanzministerium Bürger in die Irre? (Update)

Bundesfinanzminister Peer Steinbrück spricht sich für eine Börsenumsatzsteuer aus (Foto: peter schmelzle)Im Februar schlugen SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier und Bundesfinanzminister Peer Steinbrück für die kommende Legislaturperiode die Einführung einer Börsenumsatzsteuer vor und griffen so einen Vorschlag des Linke-Vorsitzenden Oskar Lafontaine aus dem vergangenen Jahr auf. Mittlerweile haben sogar CDU und CSU signalisiert, einer Börsenumsatzsteuer unter gewissen Umständen zustimmen zu wollen. Doch scheinen sich die beteiligten Personen wenig mit der Börsenumsatzsteuer auseinander gesetzt zu haben. Sogar auf der Webseite des Bundesfinanzministeriums erschienen bis vor wenigen Wochen zweifelhafte Informationen – Kritiker vermuten gar eine gezielte Irreführung der Bürger.

Auf ihrer Webseite skizzierte die Behörde die geschichtliche Entwicklung der Börsenumsatzsteuer und schloss mit einer aktuellen Bestandsaufnahme: „In den meisten Staaten der Europäischen Union gibt oder gab es eine Börsenumsatzsteuer. Auch an den bedeutenden Börsenplätzen New York und London wird eine Börsenumsatzsteuer erhoben.“ Doch stimmen diese Aussagen nur zum Teil: In den USA wurde die Börsenumsatzsteuer bereits 1966 abgeschafft und auch innerhalb der Europäischen Union (EU) erhebt keineswegs die Mehrheit der Mitgliedsstaaten eine Börsenumsatzsteuer. Selbst ein sehr weiter Begriff der Börsenumsatzsteuer zeigt, dass lediglich elf von 27 Staaten eine solche Steuer erheben. Dies ist nicht die Mehrheit der EU-Staaten.

Die von der Behörde gewählte Formulierung „in den meisten Staaten der Europäischen Union gibt oder gab es eine Börsenumsatzsteuer“ erlaubt allerdings, auch diejenigen acht Staaten zu berücksichtigen, die eine Börsenumsatzsteuer in der Vergangenheit – teils wegen Erfolglosigkeit – abgeschafft haben. Nur durch den Rückgriff auf die Vergangenheit lässt sich die Formulierung des Ministeriums aufrecht erhalten.

Auch der Verweis auf eine Börsenumsatzsteuer in New York scheint vom Ministerium geschickt gewählt zu sein. Tatsächlich erhebt der US-Bundesstaat New York eine Form der Börsenumsatzsteuer. Diese ist allerdings auf 350 US-Dollar je Transaktion begrenzt und sieht zahlreiche Erstattungen und Ermäßigungen vor. Von einer nationalen Börsenumsatzsteuer kann somit keine Rede sein.

Oberflächlichkeit oder bewusste Täuschung? So erklärte das Bundesfinanzministerium bis vor wenigen Wochen die BörsenumsatzsteuerUnter den Staaten, die innerhalb der EU eine reine Börsenumsatzsteuer berechnen, befindet sich neben Belgien, Griechenland, Irland, Malta und Zypern unter anderem der bedeutende Finanzplatz Großbritannien – dort werden allerdings lediglich inländische Transaktionen besteuert – Renten, Derivate, Exchange Traded Funds (ETFs) sind gar gänzlich von der Steuer ausgenommen. Obwohl es die Börsenumsatzsteuer im internationalen Vergleich überhaupt nicht gibt, stellte das Bundesfinanzministerium diese vielschichtige Situation mit nur 26 Worten dar. Eine bewusste Vereinfachung zur Täuschung der Öffentlichkeit?

Tatsächlich hält sich die Mär von einer Mehrheit der EU-Staaten, die eine Börsenumsatzsteuer erheben, in zahlreichen Medien hartnäckig. Christian Bender, Dozent und Privatanleger, sieht diese Entwicklung äußerst kritisch: „Das Bundesfinanzministerium hat seine Informationspflicht gegenüber den Bürgern verletzt. Zweifelhafte Angaben zur Börsenumsatzsteuer führen in die Irre – und das um so mehr, je länger diese Informationen verbreitet werden.“ Bender hat dem Bundesfinanzministerium mit rechtlichen Schritten gedroht und mit seiner Drohung offenbar Wirkung erzielt: Die Seite zur Börsenumsatzsteuer ist mittlerweile nicht mehr verfügbar. „Das Ministerium möchte den Beitrag ‚ein wenig‘ anpassen, um ‚ungewollte Missverständnisse‘ zu vermeiden“, zitiert Bender aus der Stellungnahme eines Mitarbeiters des Finanzministeriums.

Wie lange die Seite, die selbst nach Einschätzung des Ministeriums dazu geeignet war, „ungewollte Missverständnisse“ hervorzurufen, verfügbar war, konnte das Ministerium gegenüber Aktien-Blog nicht beantworten. Auch widerspricht die Behörde Vorwürfen, die auf ihrer Internetseite dargestellten Informationen zur Börsenumsatzsteuer seien nicht korrekt gewesen.

Dass die Seite mittlerweile nicht mehr verfügbar ist, ist allerdings ein Schritt in die richtige Richtung: Die verschiedenen Ausprägungen der Börsenumsatzsteuer weltweit und die wissenschaftlichen Diskussionen zeigen, dass das Thema zu komplex ist, um oberflächlich abgehandelt zu werden. Da es die eine Börsenumsatzsteuer nicht gibt und zudem ein Vergleich zwischen Deutschland und Staaten wie Malta oder Zypern hinkt, wäre es fahrlässig, anhand dieser Informationen eine pauschale Börsenumsatzsteuer in Deutschland einführen zu wollen – unter welcher Regierung auch immer. Es ist vielmehr an der Zeit, eine objektive Diskussion zu beginnen.

Update: Die Informationsseite des Bundesfinanzministeriums zur Börsenumsatzsteuer ist mittlerweile wieder verfügbar.

6 Gedanken zu „Diskussion um Börsenumsatzsteuer: Führte das Finanzministerium Bürger in die Irre? (Update)

  1. Thomas

    Das ist echt eine Frechheit, wie die die Leute veräppeln. Ich habe schon häufiger gehört, daß gezielt falsche Informationen gestreut werden. Dies geschah z. B. auch im Zusammenhang mit der Debatte um Internetsperren.

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  2. MGS

    Getrickst wurde da bestimmt. Zwar ist rechtlich alles in Ordnung aber ein Gschmäckle bleibt wenn es den Eindruck gibt, dass ein Regierungsorgan Parteipolitik stützt. Und sei es durch Nichtinformation.

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  3. Mike aus New Jersey

    Sehr geehrter Herr Popp,

    Zum Thema Börsenumsatzsteuer in den USA:
    Es gibt eine Börsenumsatzsteuer auch auf der US nationale Ebene in Form von Securities and Exchange Commission (SEC) Section 31 fees:

    „The SEC does not impose or set any of the brokerage fees that investors must pay. Instead, under Section 31 of the Securities Exchange Act of 1934, self-regulatory organizations (SROs) — such as the Financial Industry Regulatory Authority (FINRA) and all of the national securities exchanges (including the New York Stock Exchange and the American Stock Exchange) — must pay transaction fees to the SEC based on the volume of securities that are sold on their markets. These fees recover the costs incurred by the government, including the SEC, for supervising and regulating the securities markets and securities professionals.“ (http://www.sec.gov/answers/sec31.htm)

    Dieser Fee ist in Prinzip eine Börsenumsatzsteuer aber sehr klein (am April 10, 2009 wurde der Staz auf 0,00257% gemacht) im Vergleich zu was die SPD vorschlägt.

    Ich bin gespannt wie diese Politik weiter geht jetzt dass CSU/CDU es nicht ausdrücklich ausschließt.

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  4. Nico Popp

    Hallo Mike,

    danke für die Information. Die eine „Börsenumsatzsteuer“ gibt es nicht, wie im Artikel geschrieben. Auch der Begriff der „transaction fee“ sagt doch aus, dass es sich dabei nicht um eine Steuer, sondern um eine Gebühr handelt. Hinzu kommt der sehr geringe Satz von 0,00257 Prozent.

    Es geht einfach darum, anzuerkennen, wie die Situation im globalen Vergleich ist und zu berücksichtigen, dass es die pauschale Börsenumsatzsteuer auf sämtliche Transaktionen und ohne Obergrenzen kaum gibt. Diese Erkenntnis sollte in die Diskussion in Deutschland unbedingt einfließen.

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  5. götz zel

    Also die Börsenumsatzsteuer ist überfällig. Warum trauen sich die Parteien nicht ran? Weil sie damit der Finanzwelt auf die Füsse treten. Kleinanleger sind ohnehin immer die gekniffenen. Aber warum sollte es keine Börsenumsatzsteuer geben, es gibt doch auch die Mehrwerststeuer und was ist schon mehr wert? Di9e trägt auch nur der Endverbraucher, denn alle anderen können sie verrechnen. Also traut Euch, 1,9% Börsenumsatzsteuer wäre ein guter ANsatz.

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