Nachdem ich am Freitag einen Gegenpol zu den Pessimisten gebildet habe und mein Fazit für die nächsten Tage „Abwarten und Halten“ war, stehen wir nun vor einer Woche, in der sich entscheiden könnte, wohin der DAX läuft. Die Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) erwartet für die kommende Woche einen Ausbruch über die 6000er-Marke. „Der Markt will eine runde Zahl sehen, und die nächste Woche bietet dafür die beste Gelegenheit“ so ein Verantwortlicher der LBBW.
Doch wohin sich der DAX auch entwickeln wird, in der nächsten Woche stehen zunächst einmal Veränderungen in den Indizes und weitere Zahlen an. Praktiker ersetzt Medion im MDAX und der Solartitel Solon ersetzt Funkwerk im TecDax. Damit sind nunmehr schon fünf Solaraktien im TecDax. Zahlen wird es in dieser Woche von Lufthansa, der Dresdner Bank und TUI geben.
Deutsche Lufthansa AG 2011: a state of spatial disorientation?
Die Deutsche Lufthansa AG muss den defizitären Europaverkehr in den Griff bekommt, um sich und dem Konzern die Zukunfts- und Wettbewerbsfähigkeit zu sichern. Lufthansa kappte bereits wegen der schwachen Passagierentwicklung im August 2011 und den unsicheren Wirtschaftsaussichten ihre Jahresprognose. Der Vorstand gehe für 2011 nur noch von einem operativen Gewinn im oberen dreistelligen Millionen-Bereich aus, verlautbarte es aus dem Konzern. Die vom Konzern erwartete Steigerung gegenüber dem Vorjahreswert von 876 Millionen Euro dürfte aus derzeitiger Sicht nicht mehr realisierbar sein. Die Aktien der Deutschen Lufthansa AG geraten in Turbulenzen. Der Konzernleitung ist bewusst: nur Sparen wird bei weitem nicht reichen. Deshalb stellen sowohl Analysten wie Marktbeobachter die durchaus berechtigte Frage, wohin der Konzern Lufthansa AG steuert? Unwillkürlich denkt man zunächst an das Problem der sogenannten „Räumlichen Desorientierung“ (spatial disorientation). Immerhin sind 15% – 17% aller tödlichen Flugunfälle auf Räumliche Desorientierung (SD) zurückzuführen.
„Es ist die Pflicht eines Vorstands, sich neben den reinen Kosten auch alle anderen Szenarien, die möglich sind, anzuschauen“, erklärte kürzlich Christoph Franz, Vorstandsvorsitzender, vor dem Internationalen Club Frankfurter Wirtschaftsjournalisten. Ein Aussage, die allerdings viel Raum für Spekulationen lässt. Konzernweit verbuchte Lufthansa AG in 2010 mit ihren gut 117.000 Mitarbeitern bei einem Umsatz von 27,3 Mrd. Euro einen operativen Gewinn von 876 Mio. Euro.
Nun zu den aktuellen Fakten:
• Viele Töchter, viele Probleme? Die Lufthansa Tochtergesellschaften German Wings, British Midland, Austrian uns Swiss führten in die Lufthansa Konzern Bilanzen gewissermaßen die Farbe „rot“ ein, modisch zwar stets Très Chic – für die Bilanzbuchhalter aber eine Zumutung und ein „No-Go!“ Spekulationen wies die LH AG zurück, nach denen es Pläne geben soll, die Billigflieger Germanwings mit British Midland (BMI) und der österreichischen AUA zu einen neuen, größeren Billiganbieter zu formen, um andere Low-Cost-Carrier wie Ryanair bzw. Easyjet auf Abstand zu halten. Weitere „rote“ Jahre auf der Europastrecke wird der LH Konzern daher weder akzeptieren, geschweige denn wirtschaftlich durchhalten können. Auf einen dreistelligen Millionenbetrag beziffern Branchenkenner die jährlichen Verluste. Lufthansa sucht in Sachen Konzernumstrukturierung derweilen noch nach Orientierung: „Das kann auch größere Schritte bedeuten“, vermeldete der Vorstand.
• Viele Mitarbeiter, viele Vorsorgeprobleme! Stichwort: Deferred Compensation. Das Oberlandesgericht Stuttgart (Beschluss v. 22.08.2011 – 2 UF 103/11) hatte aktuell in einem Musterprozess über betriebliche Altersvorsorgeansprüche bei der LH AG zu entscheiden gehabt. In dem Prozess ging es nicht nur um das vom Amtsgericht berücksichtigte Anrecht auf die LufthansaBetriebsrente mit einem Ausgleichswert von 19.680,27 Euro. Es ging zudem um mehrfache Ansprüche aus betrieblicher Altersversorgung im Versorgungsausgleich. Durch den Ausgleich des Anrechts – Deferred Compensation – entsteht kein unverhältnismäßiger Verwaltungsaufwand bei der Deutschen Lufthansa AG als Versorgungsträger. Zudem hat diese sich selbst nicht gegen einen Ausgleich ausgesprochen, was im Rahmen der Ermessensentscheidung ebenfalls zu berücksichtigen ist4. Da die Deutsche Lufthansa AG für das Anrecht die externe Teilung beantragt hat, erschöpft sich der ihr entstehende Verwaltungsaufwand in der Auszahlung des Ausgleichswertes an die Zielversorgung und in der Erfassung und Berücksichtigung des Versorgungsausgleichs im Versorgungskonto des Antragsgegners. Da die Deutsche Lufthansa AG bereits aufgrund der externen Teilung der LufthansaBetriebsrente zu deren Ausgleich durch Zahlung an denselben Zielversorgungsträger verpflichtet ist, entsteht ihr durch den externen Ausgleich des zweiten Anrechts ersichtlich kein nennenswerter Verwaltungsaufwand. Darüber hinaus ist das Entstehen einer Splitterversorgung auf Seiten der Antragstellerin ausgeschlossen, weil die Ausgleichsbeträge für die betrieblichen Anrechte im Wege der externen Teilung (ohne Abzug von Kosten) insgesamt an einen Zielversorgungsträger zur Begründung eines Vertrages über eine Basisversorgung überwiesen werden. „Lufthansa scheint auch die Orientierung bei der Altersvorsorge verloren zu haben“, konstatiert Analyst Sandro Valecchi: „Bei einer Entgeltumwandlung zur betrieblichen Altersversorgung (arbeitnehmerfinanzierte Altersversorgung, auch Deferred Compensation genannt) verzichtet der Arbeitnehmer auf einen Teil seines Gehalts zugunsten einer Altersvorsorgezusage. § 1 Abs. 1 Nr. 3 BetrAVG fordert, dass künftig fällige Entgeltbestandteile in eine wertgleiche Zusage umgewandelt werden.“
• Viele Piloten, viele Wünsche: Der Europäische Gerichtshof (EuGH) kippte die bisherige tarifvertragliche Altersgrenze bei den Piloten der Lufthansa. Mit Urteil vom 13.9.2011, Az. C-447/09, hat der EuGH eine tarifvertragliche Altersgrenze als unwirksam angesehen, weil sie altersdiskriminierend sei. Für die betroffenen Piloten bedeutet dies: weiterfliegen bis 65 und für Lufthansa heißt dies weiterzahlen.
• Viele Kosten, wenige Konzepte: Infolge der Flugticketsteuer, die seit Anfang des Jahres erhobenen wird, stieg der operative Verlust bei Germanwings im ersten Halbjahr um fast 18 % auf 46 Millionen Euro, obwohl der Umsatz um 10 % auf 293 Millionen Euro zulegte. Kleiner Trost: Germanwings produziert zu niedrigeren Stückkosten als Lufthansa. Stark belastet haben das Geschäft des LH Konzerns auch die Atomkatastrophe in Japan und die Unruhen in Nordafrika. Der operative Gewinn liege noch bei 3 Millionen Euro, wie der Dax-Konzern mitteilte. Im Vorjahreszeitraum war hingegen noch ein Verlust von 171 Millionen Euro angefallen, was seine Ursachen unter anderem in der Vulkan-Aschewolke hatte, die damals die den Flugverkehr tagelang lähmte, zudem streikten auch noch die Piloten. Der Konzernumsatz zog in der ersten Jahreshälfte um 11 % auf 14,1 Mrd. Euro an und insgesamt stieg die Zahl der Fluggäste um 10 % auf 50,2 Millionen. Japan, Libyen, Aschewolke, Kerosin-Kosten treffen allerdings nicht nur die Lufthansa AG.
Der Wettbewerbsdruck besteht vor allem im Verhältnis zu den international agierenden Low-Cost-Carriern. Kostendruck entsteht infolge weiterer Belastungen, etwa aufgrund Regierungsauflagen, Steuern und Gebühren sowie der unterschiedlichen Verkehrsrechte zwischen den einzelnen Staaten. Wenn weitere unvorhergesehene Ereignisse hinzukommen, wie beispielsweise Flugverbote wegen einer Vulkan-Aschewolke im Mai 2001, erhöht sich der Kostendruck. Hinzu kommt noch, dass ab 2012 alle Flüge, die von Flughäfen innerhalb der EU starten oder auf Flughäfen in der EU landen, dem EU ETS unterliegen. Dies bedeutet, dass die CO2-Emissionen dieser Flüge bis 2020 um mindestens 20% ihres Niveaus von 1990 reduziert werden müssen.
Margin Call – die monetäre Nachschusspflicht: Auf der Kurzstrecke drückt der massive Wettbewerb mit Billig-Airlines wie Ryanair oder Easyjet die Margen. Die haben sich auf die Kurzstrecke konzentriert, fliegen von Punkt zu Punkt. Die Flugzeuge sind ständig in der Luft und verdienen Geld. Ein solches Modell ist für die Lufthansa-Kernmarke nicht möglich, da hier die Kurzstrecke als Zubringer für die Langstrecke genutzt wird, die Flugzeuge deshalb länger am Boden sind. Kosteneinsparungen allein reichen nicht. Zwar wurden alle 50-sitzigen Flugzeuge ausgemustert und gegen größere Maschinen ausgetauscht, die pro Passagier geringere Kosten verursachen. So konnten die Stückkosten im Europaverkehr beispielsweise im Jahr 2010 um 14 % gesenkt werden. Analysten und Bilanzbuchhalter wissen hingegen, dass mindestens das doppelte Einsparvolumen generiert werden muss, um wieder im Europaverkehr profitabel zu sein. Auch besondere Faktoren, wie etwa das Nachtflug- und Ladeverbot auf Verkehrsflughäfen wie Frankfurt Rhein-Main, können den Kostendruck auf die LH zunehmend weiter erhöhen.
„Die richtige Managementstrategie wird für den Lufthansa Konzern jetzt darüber entscheiden, wie zukunftsfähig die LH AG aufgestellt wird, um die kommenden Turbulenzen in der heutigen, schwierigen Marktlage weltweit zu meistern“, fasst Analyst Sandro Valecchi die Lage bei der LH AG zusammen.
V.i.S.d.R.
Sandro Valecchi, Analyst, 10555 Berlin