Unter dem Endowment-Effekt versteht man das menschliche Verhalten beim Handel, für einen Gegenstand oder eine Sache einen höheren Wert zu verlangen, sobald dieser im eigenen Besitz ist. Im Gegensatz dazu sind die gebotenen Preise von Menschen, die den Gegenstand erwerben möchten, geringer. Somit besteht also eine subjektive Einschätzung über den Wert einer Sache, die höher ist, wenn man einen Gegenstand schon besitzt. Diesen Sachverhalt bezeichnete Richard Thaler im Jahre 1980 sehr treffend als den Besitztumseffekt oder im englischen Endowment-Effekt.
In einem mittlerweile klassischen Experiment der Psychologie, das von Daniel Kahnemann im Jahre 1990 durchgeführt wurde, teilte man Menschen in zwei gleichartige Gruppen ein. Das bedeutet, dass die Gruppen nach Alter und Geschlecht gemischt waren, um eine allgemeingültige Aussage aus den Ergebnissen ziehen zu können und andere Einflussfaktoren auszugrenzen. In dieser Studie schenkte man den Mitgliedern der Gruppe A je eine Tasse. Diesen Gegenstand konnten die Teilnehmer nun nach Hause nehmen oder versuchen, ihre Tasse zu verkaufen. Anders war das Angebot an die Gruppe B. Sie konnten zwischen der Tasse und einem Geldbetrag wählen und entweder das Eine oder das Andere mit nach Hause nehmen.
Untersuchungen im Scanner legen Verlustängste offen
Es zeigte sich, dass sich aus der zweiten Gruppe umso mehr Menschen für das Geld entschieden, wenn der ausgezahlte Betrag drei US-Dollar überstieg. Das schien also im Durchschnitt der für die Personen angemessene Preis der Tasse zu sein. Die A-Gruppe hingegen verkaufte die sich schon im eigenen Besitz befindende Tasse erst ab einem Preis von etwa sieben US-Dollar.
Eine weitere Studie zu diesem Effekt wurde an der Stanford University angestellt. Dabei wurde das Augenmerk auf die Gehirnregionen gelegt, die an diesem Entscheidungsprozess beteiligt sind. Anhand der funktionellen Magnetresonanztomographie (fMRI) zeigte sich, dass der zum Belohnungssystem gehörende Nucleus accumbens, die für Emotionen und Bewertungen zuständige Inselrinde und der mediale präfrontale Kortex, der für Planen und Abschätzen zuständig ist, beteiligt sind. Die Scans zeigten eine wesentlich stärkere Aktivität des Nucleus accumbens bei jedem Vorgang, unabhängig davon, ob gekauft oder verkauft wurde. Der mediale präfrontale Kortex war stärker beim Verkaufen aktiv in Zusammenhang mit einem hohen Preis und inaktiver, je höher der Preis beim Kaufvorgang war. Die Inselrinde scheint also persönliche Präferenzen zu regulieren. Diese Studie wurde dahingehend gedeutet, dass nicht der eigentliche Besitz zu einem hohen Verkaufspreis führt, sondern der Verlust einer Sache die Preisvorstellung reguliert.
Der Endowment-Effekt in der Praxis
Diese Verhaltensweise wird in der Praxis schon von vielen Verkäufern benutzt, indem sie schon vor dem Kauf gegenüber dem Kunden von „Ihrem“ Produkt sprechen. Der potenzielle Autokäufer wird sich nämlich schwerer tun, sich von „seinem“ Auto nach einer Probefahrt und nach der Benutzung „seines“ Autos wieder zu trennen, als wenn er sich für das Produkt erst entscheiden müsste. Auch Steuersünder trifft es härter, wenn sie Steuern im Nachhinein, also von ihrem Besitz, bezahlen müssen, als wenn sie die Abgaben schon zuvor von ihren steuerpflichtigen Gewinnen abziehen lassen.
Auch beim Trading an der Börse ist der Endowment-Effekt vorhanden. Anbieter trennen sich umso schwerer von ihren Aktien, je größer der Verlust gegenüber möglichen Gewinnen erscheint. Lieber wartet man auf höhere Kurse, um die Einbußen ausgleichen zu können. Vielleicht ein Grund dafür, warum sich Kurse wieder „fangen“ und keine panischen Verkäufe bei höheren Kurseinbrüchen eintreten – jede Aktie findet schließlich irgendwann ihren Boden.
Eines ist sicher: Nach der neoklassischen Theorie eines „homo oeconomicus“ dürfte es diese Verhaltensart nicht geben. Nach dieser müsste nämlich der Preis für ein Produkt immer gleich bleiben, unabhängig davon, ob dieser Gegenstand verkauft oder gekauft wird. Nicht nur die Verhaltenspsychologie, sondern auch die aufstrebende Hirnforschung mit ihren technischen Möglichkeiten zeigt hier sehr deutlich, dass Wirtschaftsentscheidungen entgegen der neoklassischen Theorie sehr wohl mit Emotionen einher gehen.
Richtig interessant wird es ja erst, wenn man folgenden Widerspruch betrachtet:
http://www.wissenschaft.de/wissenschaft/news/277713
„Geld zu verlieren löst im Gehirn die gleiche Reaktion aus wie Schmerzen“
Wieso verkaufen dann Börsianer nicht sofort, wenn es wehtut, so, wie es die Theorie ja auch fordert? Der Mensch ist außerdem viel stärker auf Schmerzvermeidung als auf Lustgewinnung „programmiert“!
Man sollte sich also wirklich mit dem Hammer auf die Finger hauen, sobald die Trading-Disziplin nachlässt, das sollte helfen, denn anders scheint es ja allerortens nicht zu funktionieren…
Vielen Dank für den Kommentar!
In Bezug zu dem Tatsache, dass Verluste wie reale Schmerzen erlebt werden, besteht nur auf den ersten Blick ein Widerspruch.
Die Aktie bleibt auch bei sinkendem Kurs im eigenen Besitz, der tatsächliche Verlust würde erst eintreten, wenn dann verkauft wird.
Daraus könnte man eine vortreffliche akademische Arbeit machen: Sich börsen-bezogen in die eigene Tasche zu lügen – ist dies charakterlich eine Ausnahme? Oder sind die erfolglosen Trader und Loss-Longs auch häufig sportfaul, dekadent, besserwisserisch, fett, Raucher?