Währungshüter oder Wachstumsgarant? Zwingt ein neuerlicher US-Zinsschritt die EZB zum Paradigmenwechsel?

Mehr als 2,5 Prozent legte der Dow-Jones-Index gestern zu und zog auch europäische und asiatische Indizes deutlich nach oben. Der deutsche Leitindex Dax notiert mittlerweile wieder jenseits von 7700 Punkten und auch der Nikkei verteuerte sich in der vergangenen Nacht um mehr als 2,3 Prozent. Als Grund für den Freudensprung der Aktienmärkte wird die Hoffnung auf weitere Zinssenkungen durch die US-Notenbank Fed genannt. Fed-Vize Donald Kohn hatte diese Hoffnung gestern durch nur wenige Worte geschürt: „flexibel und pragmatisch“ müsse die Notenbank in der jetzigen Situation handeln, so Kohn. Für die Marktteilnehmer war diese Aussage Anlass genug, bereits gestern eine bevorstehende Zinssenkung in den USA zu feiern.

Doch sind Zinssenkungen zum gegebenen Zeitpunkt das von den Anlegern sehnlich herbeigesehnte Allheilmittel? Sicherlich könnten Zinssenkungen in den USA helfen, die Liquiditätskrise im Finanzsektor zu lindern. Auch private Schuldner, die unter den steigenden Zinsen der vergangenen Jahre zu leiden hatten, könnten den Bankrott nach einer Zinssenkung möglicherweise noch einmal abwenden. Insbesondere für den US-Häusermarkt und den Konsum wären die Folgen eines neuerlichen Zinsschritts positiv. Andererseits ist die Gefahr einer Inflation im Dollarraum nach wie vor groß: steigende Energiepreise und teure Agrarrohstoffe lassen auch im Land der unbegrenzten Möglichkeiten die Preise steigen.

Noch verzwickter ist dagegen die Lage im Euroraum. Sollte die US-Notenbank erneut die Zinsen senken, wäre eine neuerliche Kursrallye des Euro wahrscheinlich. Die Europäische Zentralbank könnte sich durch einen us-amerikanischen Zinsschritt ebenfalls zu einer Reaktion gezwungen sehen. Insbesondere exportorientierte Branchen wie die Automobilindustrie zittern bereits heute vor einem Euro-Kurs bei 1,60 US-Dollar. Doch kann auch die Europäische Zentralbank (EZB) nicht ohne Blick auf das Inflationsrisiko handeln. Zumal die EZB vorrangig das Ziel der Preisstabilität verfolgt und keineswegs so „flexibel und pragmatisch“ agiert, wie es die Kollegen jenseits des Atlantiks tun.

Sollte die EZB nach einer Zinssenkung in den USA nicht „mitziehen“ wollen und den Leitzins unverändert lassen, wäre eine Intervention gegen den schwachen Dollar durch Währungskäufe im Sinne des Exports fast Pflicht. Doch wäre auch ein solches Wagnis mit Risiken verbunden: es dürfte für die EZB schwer werden, gegen Länder wie China, Japan oder Russland zu intervenieren, die gemeinsam rund drei Billionen US-Dollar halten und diese gern in Euro umtauschen würden.

Es hat den Anschein, als müsse die EZB im Sinne der Wettbewerbsfähigkeit vom bisherigen Hauptziel, nämlich der Wahrung der Preisniveaustabilität im Euro-Raum, abrücken und einem möglichen Zinsschritt der US-Notenbank folgen. Ein solcher Paradigmenwechsel mag für Anhänger des in der Tradition der deutschen Bundesbank stehenden europäischen Währungshüters zwar irritierend wirken, doch böte dieser Schritt auch die Chance, künftige Herausforderungen so zu lösen, wie es die US-Notenbank in der Vergangenheit bewiesen hat: flexibel und pragmatisch.

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