In der Wirtschaftswelt dominiert die Vorstellung des „homo oeconomicus“, eines rein rational handelnden Menschen. Doch diese Ansicht gerät immer mehr ins Wanken. Der Idealtypus des „homo economicus“ ist Bestandteil der neoklassischen Wirtschaftstheorie, an der sich die gesamte Wirtschaftswelt orientiert. In dieser Theorie steht ein imaginäres Subjekt im Blickfeld, das über sämtliche Informationen verfügt und rein rational denkt. Zudem geht die neoklassische Theorie von einem vollkommenen Markt aus, der die Preise durch das Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage effizient reguliert. Die Wirtschaft orientierte sich allerdings nicht immer an der neoklassischen Theorie, die erst in den 1970er Jahren einen Aufschwung erfuhr. Zuvor entstand durch die von Adam Smith begründete klassische Schule der Nationalökonomie eine erste ökonomische Wissenschaftsdisziplin. Schon hier nahmen menschliche Verhaltensweisen einen bedeutenden Platz ein – eine Ausrichtung, welche die Behavioral Finance seit den 1970er Jahren ins Zentrum ihrer Forschung stellt.
Die innerhalb der vergangenen Jahre immer beliebter werdende Verhaltensökonomie versucht, genauer über die wirtschaftlichen Entscheidungen der Menschen aufzuklären. Sie vertritt die Auffassung, dass Menschen nicht rein rational handeln und irrationale Entscheidungen nicht als Anomalien einzelner Individuen anzusehen sind. Unterstützung kommt aus der Psychologie und der Gehirnforschung, die aufgrund technischer Errungenschaften der vergangenen Jahre enorme Entwicklungen verzeichnen konnten. Vor allem die funktionelle Magnetresonanztomographie trug einen großen Teil zum Siegeszug der Behavioral Finance bei. Weltweit gibt es immer mehr Projekte, bei denen sich Wirtschaftswissenschaften, Psychologie und Hirnforschung zusammen schließen, um Klarheit über wirtschaftliches Verhalten zu erlangen.
Unser Gehirn zieht alte Verhaltensweisen Innovationen vor
Die Forschungsgebiete der Behavioral Finance lassen sich in drei Kategorien unterteilen: Heuristik, systematische Kognitionsprobleme und Anomalien. Die Heuristik hat dabei eine lange Tradition, die bis ins vierte Jahrhundert reicht. Im Kern besagt sie, dass die verfügbaren Mittel ein gegebenes Problem intuitiv lösen. Anwendung findet sie in der Erwartungstheorie, welche Lösungen für Situationen beschreibt, in der ungeahnte Risiken bestehen. Auch der sogenannte Spielerfehlschluss ist Bestandteil der Heuristik: Ein Spieler geht davon aus, die nächsten Ergebnisse eines Spiels vorhersagen zu können. Dieser Trugschluss beruht auf der Fähigkeit des Gehirns, Prognosen aufzustellen, um damit eine realistische Einschätzung aufgrund von Erfahrung herzuleiten. Ein Torhüter macht dies beispielsweise, wenn er die Flugkurve des Balls abschätzt.
Der Bereich der systematischen Kognitionsprobleme umfasst das kognitive Einordnen, also die Verarbeitung von Strukturen. Zudem führt Trägheit zu einer Bevorzugung alter Verhaltensweisen, da sie besser gelernt und gekonnt sind als neue. Dies beruht auf der höheren Anzahl synaptischer Verbindungen wie auch der Myelinummantelung der Nervenbahnen im Gehirn, welche durch Übung und Erfahrung aufgebaut werden. Der dritte Bereich betrifft das Gebiet der Anomalien. Unter diesem Begriff sind unter anderem die Geldillusion oder das Bauchgefühl zu verstehen, wobei auch die Reziprozität und das Easterlin-Paradox innerhalb des Bereichs der Anomalien verortet wird. Bei der so genannten Geldillusion nehmen Menschen beispielsweise eine reale Inflation, also den Verlust von Kaufkraft, nicht wahr. Genau durch diese Unbestimmtheit der Relation, also einer nicht objektiven Wahrnehmung, fällt dieses Phänomen in den Bereich der Anomalien.
„Menschen entscheiden nie rein ökonomisch“
Die Untersuchungsmethoden mit denen die Behavioral Finance ihre Theorien überprüft, erfuhren im Wandel der Zeit eine starke Veränderung. Anfangs dienten Fragebögen oder einfache Beobachtungen der Wissenschaft, Erkenntnisse zu gewinnen. Die neuesten Methoden basieren jedoch auf den Möglichkeiten der Magnetresonanztomographie. Mit dieser Methode kann man dem Gehirn direkt und fast unmittelbar bei der Arbeit zusehen und Bilder des aktiven „Geistes“ generieren. Dies geschieht so: Aktive Gehirnzentren, also aktive Neuronen verbrauchen Sauerstoff, welcher der Blutkreislauf ihnen zu führt. Daher sind in den Gehirnarealen, die gerade mit einer Aufgabe beschäftigt sind, höhere Blutmengen vorhanden als in Bereichen, die sozusagen inaktiv sind. Dieser Unterschied im Blut dient als Kontrastmittel für die Magnetresonanztomographie, da sauerstoffreiches Blut, wie es die aktiven Areale benötigen, in einem Magnetfeld anders aussieht, als sauerstoffarmes Blut. Aus dieser Diskrepanz errechnet nun der Computer die Bilder eines dreidimensionalen Gehirns und stellt sie bildlich dar. Dies ist die grundlegende Funktion eines Magnetresonanztomographen, durch die sich bei verschiedenen Spielen und Untersuchungen oder auch Beschäftigungen im Scanner die daran beteiligten aktiven Areale in Farbe zeigen. Damit können Wissenschaftler mit überlegten Aufgabenstellungen herausfinden, welche Gehirnareale sich bei der Problemlösung beteiligen.
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Versuchspersonen haben verschiedene Wirtschaftssimulationen gespielt, zum Beispiel das mittlerweile zum Standard jedes Wirtschaftsstudiums gewordene Ultimatum Spiel. Im Kern geht es dabei um Verhandlungsgeschick, denn Studenten bekamen das Angebot, dass sie einen bestimmten Betrag aufteilen können und wenn der andere Mitspieler sein Angebot annimmt, beide den jeweiligen Betrag real mit nach Hause nehmen können. Als „homo oeconomicus“ müsste also jeder das Angebot seines Gegenspielers akzeptieren, egal in welcher Höhe. Überraschenderweise war dem aber nicht so, denn die Angebote schlug Spieler 2 eher aus, je ungleicher Spieler 1 das vorhandene Geld unter den zwei Spielern aufteilte. Auch die Bilder des Gehirns zeigten, dass Areale für Fairness bei den Angeboten aktiver „feuerten“, wenn Spieler 2 das Angebot akzeptierte – ein Beweis dafür, dass Menschen in der Wirtschaft nicht rein ökonomisch entscheiden.
Die Verhaltensökonomie hat sich durch diese und ähnliche Untersuchungen in den vergangenen Jahren eine Daseinsberechtigung geschaffen und plausible Erklärungen für irrationale Verhaltensweisen bei wirtschaftlichen Entscheidungen geliefert. Die Erforschung dieses menschlichen Verhaltens muss sich allerdings der Angst der Menschen vor einem Missbrauch dieser Erkenntnisse stellen. Diese Angst kann genommen werden, indem Menschen die allgemeine Fähigkeit zum Entscheiden von der individuellen Wahl getrennt betrachten: Im Umkehrschluss kann die Verhaltensökonomie den Menschen helfen, Einblicke in ihre eigenen Entscheidungsprozesse zu erlangen und ermöglicht es so, selbst über das eigene Handeln zu bestimmen.
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