Aber nicht nur in der sozialistischen Ordnung sieht er Ineffizienzen, sondern in allen staatlich interventionistischen Maßnahmen, die er als „Destruktionismus“ bezeichnete. In den 1920er und 1930er Jahren war von Mises einer der wenigen deutschsprachigen Intellektuellen, die am klassischen Liberalismus festhielten. In seinem Buch Liberalismus von 1927 versuchte er diesen auf utilitaristischer Grundlage logisch zu begründen. Geschichtlich sei der Liberalismus die erste politische Richtung, die dem Wohle aller, nicht dem besonderer Schichten dienen wolle. Vom Sozialismus, der ebenfalls vorgebe, das Wohl aller anzustreben, würde sich der Liberalismus nicht durch das Ziel unterscheiden, sondern durch die Mittel, die er wähle, um dieses letzte Ziel zu erreichen.
Dem Vorwurf, der Liberalismus sei staatsfeindlich, entgegnete Mises: „Wenn ich der Ansicht bin, dass es nicht zweckmäßig sei, der Regierung die Aufgabe zuzuweisen, Eisenbahnen, Gastwirtschaften oder Bergwerke zu betreiben, dann bin ich kein ‚Feind des Staates‘. Ich bin es ebenso wenig, wie man mich etwa einen Feind der Schwefelsäure nennen darf, weil ich der Ansicht bin, dass Schwefelsäure, so nützlich sie auch für viele Zwecke sein mag, weder zum Trinken noch zum Waschen der Hände geeignet sei.“ 1963 erhielt er den Ehrendoktortitel der New York University für seine Philosophie des freien Marktes und seine Unterstützung einer freien und offenen Gesellschaft.
Die Konjunkturtheorie der Österreichischen Schule
Die Grundannahme dieser Konjunkturtheorie ist, dass eine Volkswirtschaft einer ständigen Dynamik unterliegt, bei der sich die Kaufkraft des Geldes, also das Verhältnis zwischen Nominal- und Realeinkommen, aus dem Verhältnis der Verwendung des Geldeinkommens in Sparen und Konsum ergibt und ständigen Verschiebungen unterworfen ist. Diese Schwankungen ergeben sich durch das variable Verhältnis zwischen Geldzins (Notenbankzins) und dem natürlichen Zins (Ertrag aus neu gebildetem Kapital). In seiner monetären Konjunkturtheorie zeigt Mises (1928), dass künstliche Zinssätze, die unter diese natürliche Zeitpräferenzrate sinken, inflatorische Bankkredite und schließlich Fehlinvestitionen auslösen, die zu einem künstlichen inflationistischen (Aktien-)Boom führen.
Dies geschieht immer dann, wenn expansive Geldpolitik zu Verwerfungen in der Zeitpräferenz zwischen Kapital- und Konsumgütern, zu einer Verlängerung der Produktionsumwege führen. Dieser wird, so die damalige Lehre im Kontext eines Goldstandards, früher oder später durch ein Leistungsbilanzdefizit in Folge eines Goldabflusses liquidiert, worauf eine Kreditkontraktion und ein Zusammenbruch der Banken folgen. Dieser Bereinigungsprozess vollzieht sich so lange, bis das natürliche Verhältnis zwischen Konsum und Investition wieder hergestellt ist und stellt ein notwendiges und gesundes Ereignis dar.
Fazit: Die Lehren von Mises werden vom Gros der Wirtschaftswissenschaftler nicht zur Kenntnis genommen. Auch wenn seine Geld- und Konjunkturtheorie in den 1920ern im deutschen Sprachraum fast unwidersprochen als allgemeine Lehrmeinung akzeptiert wurde, verloren sich diese durch die „Keynesianische Revolution“ des Interventionismus. Und auch heute wird nicht Mises, sondern die Keynes-Theorie der staatlichen Ankurbelungsmaßnahmen als das Allheilmittel unter Politikern gesehen.
Um Mises ernst zu nehmen, müsste man das komplette Geld– und Politiksystem ändern. Denn: Sobald völlig natürliche, nicht durch Blasen erzeugte Abschwünge oder Krisen auftauchen, gibt es für den politischen Druck zu niedrigen Zinsen und Kreditexpansion kein Halten mehr. Vielleicht ist aber die aktuelle Krise ja so gewaltig, dass diesbezüglich doch noch einmal ein Umdenken stattfindet.