Mit aller Gewalt versuchen Politik (Regierungen) und Banken seit Wochen auf eine Lösung des Hauptproblems der zugrunde liegenden Krise hinzuwirken – dem Vertrauensproblem. Das mangelnde Vertrauen unter den Banken lässt sich am Interbankenmarkt in Zahlen ablesen. Während die Zentralbanken Liquidität ohne Ende zur Verfügung stellen, kommt diese Liquidität nicht bei denjenigen Marktteilnehmern an, welche sie am dringendsten benötigen. Es ist etwas klar geworden, womit kaum jemand gerechnet hatte: Die Geldpolitik der Zentralbanken ist bei einer massiven Vertrauenskrise hilf- und wirkungslos! Denn die für die Bankenrefinanzierung wichtigen Interbanken-Zinssätze kamen trotz Leitzinssenkungen nicht zurück.
Deshalb geraten immer mehr Banken, die auf niedrige Interbanken-Zinsen angewiesen sind und keinen direkten Zugang zu billigem Zentralbankgeld haben, unter Druck. So kam es, dass vor allem die auf die Refinanzierung am Interbankenmarkt stark angewiesenen Investmentbanken (die einstigen Könige der Wall Street) reihum umfielen und entweder pleite gingen, oder ihren Status als (eigenständige) Investmentbank aufgeben mussten. Was hat dies jedoch alles mit dem Crash sämtlicher Anlageklassen zu tun? Und warum droht uns kurzfristig eine Asset-Price-Deflation?
Wenn sich die Banken nicht mehr günstig refinanzieren können, dann sind sie gezwungen, bei der Kreditvergabe restriktiver zu werden oder für laufende Kredite die Sicherheiten zu erhöhen. Deshalb kommt eine tödliche Spirale in Gang: Hedge Fonds oder auch die eigenen Investments der Banken waren oft stark „gehebelt“, sprich auf Kredit finanziert. Erhalten diese nicht mehr den Kredit im ursprünglichen Umfang, müssen Zwangsliquidationen vorgenommen werden. Diese wiederum treffen auf einen ausgetrockneten Markt, in dem Käufer vorsichtig agieren.
Deshalb fallen viele Anlageklassen gleichzeitig. Dies wiederum führt zu Mittelabflüssen verängstigter Fondsanleger. Die Mittelabflüsse von Fonds/Hedge Fonds beschleunigen erneut die Abwärtsspirale. Hinzu kommt die Sondersituation der Lehman-Pleite. Experten schätzen die eingefrorenen Gelder von Hedge Fonds, die Lehman als Prime Broker nutzten, auf circa 40 Mrd. USD. Auch wenn diese Gelder wohl nicht zur Konkursmasse zählen werden, kann es mehrere Monate dauern, bis ein Hedge-Fonds wieder auf diese zurückgreifen kann.
Mit dem Platzen der Kreditblase spielen auch Währungen und Rohstoffpreise verrückt
Durch die Zwangsauflösung vieler Kredite kommt es auch bei den Währungen zu Achterbahnfahrten. So war es über Jahre üblich, dass sich Investoren und Spekulanten im niedrig verzinsten Yen verschuldeten (und meist durch die von Japan als Exportnation geförderte Abwertung auch noch einen Währungsgewinn einstrichen). Auch bei diesen Yen-Krediten kam die massenweise Zwangsliquidierung und der Yen erfuhr zuletzt eine massive Aufwertung.
Auch viele Rohstofffonds spielten den Yen Carrytrade und mussten ihre Rohstoff-Longpositionen schließlich zuletzt zu Ausverkaufskursen auf den Markt werfen. So kommt es zur paradoxen Situation bei vielen Rohstoffen. Obwohl die Nachfrage weiter hoch ist und viele Minen aufgrund der stark eingebrochenen Preise bereits wegen Unrentabilität schließen mussten, fielen die Rohstoffpreise weiter.
Papiermarkt entkoppelt sich vom realen Markt
Der sich auflösende Papiermarkt hat sich zuletzt krass vom „richtigen“, physischen Markt entfernt. Am ehesten ist dies auch für den Laien beim Goldpreis erkennbar. Obwohl es immer schwerer wird, physisches Gold zu kaufen, wird der Preis an der Börse durch Zwangsliquidationen und wohl auch politisch gewollte Manipulationen nach unten gedrückt. Doch eines ist gewiss: Diese „verrückten Märkte“ werden nicht ewig Bestand haben und es ist ratsam, jetzt auf die auffälligsten Irrationalitäten zu achten.
Wenn man davon ausgeht, dass die Regierungen mit ihren Hilfspaketen und dem anstehenden Weltfinanzgipfel („Bretton Woods 2“) die „Zukunft des Kapitalismus“ (Sarkozy) einleiten werden, dann könnte die Börse mit einem Vorlauf von 6 bis 8 Monaten die potenzielle Wende zum Besseren (die rein fundamental jetzt noch nicht erkennbar ist) in den nächsten Wochen vorwegnehmen.
Auch wenn diese Finanzkrise und die wohl folgende, schwere Rezession schlimmer sein könnte, als alle Nachkriegsrezessionen seit 1945, sind viele ausgewählte Aktien und Rohstoffe unter diesen Voraussetzungen derzeit billig wie selten zuvor! Denn eines wird in naher Zukunft ebenfalls deutlich: Cash ist im Ernstfalls keinesfalls King – und Staatsanleihen nach den sich abzeichnenden Verschuldungsorgien ebenfalls nicht.
Dieser Artikel wurde der Ausgabe des Börsenbriefs Rohstoffraketen vom 22. Oktober 2008 mit freundlicher Genehmigung des Herausgebers Orsus Consult GmbH entnommen.